Die Kielerin Corinna Fleißer ist die erste Schokoladen-Sommelière in Schleswig-Holstein
Kiel. Es ist Mitternacht in der Saarbrückenstraße in Kiel. Vorsichtig tapst jemand nur auf Socken aus der Wohnung im Obergeschoss die Treppenstufen herunter, geht durch den Laden bis in die dunkle Küche hinein. Vor einem Backblech voller Schokolade bleibt die Gestalt stehen – schnuppert ein wenig und nascht dann heimlich und voller Genuss ein paar Stücke. Wer mag das sein?
Vielleicht ist es Corinna Fleißer. Wahrscheinlich sogar! Aber dass sie etwas Süßes probiert, ist nicht nur erlaubt, sondern gehört einfach zum Beruf dazu: schließlich handelt es sich um Schokolade und Pralinen, die die Konditormeisterin tagsüber in ihrer Werkstatt selbst hergestellt hat.

Erste Schokoladen-Sommelière im Norden
Darüber hinaus ist sie die erste Schokoladen-Sommelière Schleswig-Holsteins. Wie es dazu kam, welche Aufgaben damit verbunden sind und was wirklich gute Schokolade ausmacht, davon erzählt sie hier.
„Ich war schon immer süß-süchtig“, bekennt die Wahl-Kielerin. Heute ist sie knapp über 50. Ihre Liebe zu feinem Gebäck und leckerer Schokolade währt schon fast genauso lange – nämlich von Kindesbeinen an. Sie wuchs in München auf, ging dort zur Schule. Ihr Weg dorthin führte an einer Bäckerei vorbei. „Der Bäcker hat mir mittags immer rohen Teig rausgegeben“, erinnert sie sich mit einem Schmunzeln. „Ich mochte das so gerne – und da fing es an, schon mit diesem leckeren Geruch, wenn der Bäckermeister das Fenster der Backstube öffnete!“
„Schokolade ist ein Lebensgefühl“
In München lernte sie das Handwerk in einer Bäckerei und Konditorei, arbeitete seither in diesem Beruf und im Catering. Vor zwei Jahren ließ sie sich zur Schokoladen-Sommelière ausbilden. Ein Schritt, den sie nicht bereut: Auf diese Weise konnte sie ihr Wissen rund um Schokolade vertiefen und sich einen Herzenswunsch erfüllen. „Die Patisserie ist mein täglich Brot“, sagt Corinna Fleißer. „Und ist Schokolade für mich einfach ein Lebensgefühl.“
Corinna Fleißer sitzt mit einem Pott Kaffee an einem Tisch im fein dekorierten Ladengeschäft „2fach“, das sie gemeinsam mit ihrem Partner Sven Wagenknecht betreibt – er als Florist, sie als Konditormeisterin. Sie erzählt, wie sie zur Schokoladen-Sommelière wurde, als erste Frau in Schleswig-Holstein. Dafür hat sie einige Mühen auf sich genommen.
Ein appetitlicher Glanz und „Knacks“
Nun gehört sie zu einem Kreis von 50 Schokoladen-Experten im echten Norden. Man tauscht sich kollegial untereinander aus, es gibt immer etwas Neues zu entdecken. Neue Sorten und -mischungen beispielsweise, die auf den Markt kommen. Während des Lockdowns veranstaltete die Gruppe eigene Verkostungen, auf Englisch „Tastings“ genannt. „Wir haben uns gegenseitig fünf, sechs verschiedene Schokoladen geschickt und uns dann online getroffen, um gemeinsam zu probieren.“

Die Süßigkeit aus Kakaobohnen, Zucker und anderen Zutaten schätzt Corinna Fleißer als „feinen Werkstoff, der durch Purismus besticht“. Und als riesengroßes Feld, um neue Kreationen auszuprobieren. „Man kann sehr vielfältig damit arbeiten! Nicht bloß Schokoladentafeln gießen, sondern auch Pralinen in verschiedenen Texturen kreieren, Aufstriche machen und vieles mehr“, zählt sie auf. „Schokolade ist eben nicht gleich Schokolade – das macht es so spannend.“
Probieren und den Geschmacksinn trainieren
Das könne man prüfen, sagt die Expertin. Schokolade lasse sich mit allen Sinnen erfassen: sehen, fühlen, riechen, schmecken und sogar hören. „Man muss es nur trainieren, wie beispielsweise bei unseren Schokolade-Tastings mit Wein oder Whisky“, sagt sie. Dann bietet sie ein paar dunkelbraune Rippen zum Verkosten an: Zeit für einen Geschmackstest. „Erst mal dran riechen, dann in den Mund nehmen. Aber nicht gleich wie wild drauf rumbeißen“, rät sie. Das Schokostück zergeht langsam auf der Zunge, aber die ersten Geschmackseindrücke nimmt die Nase wahr. „Jetzt müsste etwas an Geschmack durchkommen, einmal abgesehen vom Kakao.“ Mir fällt die Farbe Rot ein – mehr nicht. „Es sind ganz leichte Zitrusnoten drin, hat etwas Aprikosiges, aber tatsächlich ist da auch ein bisschen Rot, vielleicht in Richtung Johannisbeere. Im Abgang sind erdige, wenig süße, kakaoige Noten zu schmecken“, schmeckt die Kennerin wortreich.

Das ist der Unterschied zwischen einem gut trainierten und ungeübten Geschmack: So wie mir geht es Kursteilnehmern in der Lernwerkstatt der Confiserie häufig. Sie können schon recht viel aus einem Stück Schokolade herausschmecken, es aber nicht benennen. Corinna Fleißer hilft dann ein wenig, stupst an, fragt: „Schmeckt‘s holzig oder erdig?“ oder ob es eine fruchtige Nuance gibt – dann macht es häufig „Klick“ – und die Probierenden wissen, wie sie die Schokoladennote einstufen können.
Schokolade und Pralinen selbst herstellen
Die Pralinenmacherin in Kiel bezieht ihre Schokolade aus aller Welt; vor allem von kleineren Herstellern, die die Kakaobohnen fertig fermentiert bis nach Rotterdam verschiffen. Teils stammt die Rohware aus Projekten, die Kleinbauern vor Ort direkt unterstützen, wie etwa eine Initiative für Frauen in Virunga, einem Ort im Osten des Kongos. Auch aus Madagaskar stammt der Kakao für ihre Grundzutat: „Ich bekomme die Kuvertüre, das ist schon die fertige Grundschokolade“, erläutert sie.

Wenn die Sommelière die Masse weiterverarbeitet, wird sie zunächst über Nacht eingeschmolzen – sachte und stundenlang, bei konstant 55 Grad Celsius. Dabei trennen sich die Bestandteile voneinander. Oben schwimmt die Kakaobutter, darunter der Kakao und auch der Zucker. Im nächsten Schritt wird die Masse heruntergekühlt, dann wieder erwärmt. Das „Temperieren“ dient dazu, die Ingredienzen nach Wunsch in einem bestimmten Mischungsverhältnis miteinander zu verbinden. Zum Schluss kristallisiert die Schokolade 24 Stunden aus.
Das Ergebnis sind individuelle Schokoladen mit einzigartigen Geschmackskombinationen und aus erlesenen Ingredienzen, die es sonst nirgendwo zu kaufen gibt. Das gilt auch für die Pralinen in pfiffigen Nuancen wie Honig-Caramel mit Fleur de Sel oder Aprikose-Quitte. Oder darf es etwas Anis-Geschmack, Kirsch-Mohn oder auch Apfel-Fenchel sein? Die Auslage im Laden lässt so manchem das Wasser im Mund zusammenlaufen – und sorgt sicher für ein ganzes Feuerwerk an geschmacklichen Erlebnissen.
Vor Weihnachten brummt das Geschäft
„Weihnachten ist intensiv“, sagt Corinna Fleißer zur aktuellen Produktion in ihrer Confiserie. „Ich verarbeite im Jahr zwischen anderthalb und 1,8 Tonnen Schokolade. Davon rund eine Tonne von Mitte November bis Mitte Dezember.“ Für die Konditorin ist es eine besonders anstrengende Zeit. Insgesamt hat sie bereits mehr als 30 verschiedene Sorten Pralinen entwickelt – zum Fest sind Lebkuchenpralinen und eine Spekulatius-Variante sehr gefragt. In anderen ist Zimt drin, Kardamom, Koriander, Tonkabohne und Vanille – mehr mag die Sommelière aber nicht preisgeben von ihren wohlgehüteten Rezepten.
“Schokolade“, zieht Corinna Fleißer ein Fazit, „bedeutet für mich ganz klar Glücksmomente. Einerseits geht es klassisch ums Handwerk – aber wenn ich zwischendrin nasche, denke ich manchmal nur noch: Wow!“
Mehr Infos zur Manufaktur „2fach“, Saarbrückenstr. 14, Kiel, gibt es unter Telefon 0431/ 530 23 33 sowie auf www.2fach.eu.