Kompass im Dschungel der Textilsiegel: Verbraucherschützer Tristan Jorde gibt einen Überblick
Neumünster. Bekleidung braucht jeder Mensch. Sie soll uns wärmen, wir wollen darin schick aussehen, Hose, Pulli und Jacke sollen zu uns passen. Doch es kann große Unterschiede ausmachen, wo und unter welchen Umständen unserer Kleidung hergestellt wird – für die Menschen, die daran beteiligt sind, ebenso wie für unsere Umwelt.
Immer mehr Schleswig-Holsteiner achten darauf, nachhaltig produzierte Textilien zu kaufen. Zertifikate tragen dazu bei, über die Bedingungen zu informieren, unter denen sie hergestellt wurden. Das Problem: es gibt Hunderte solcher Textilsiegel weltweit, sodass in der Vielfalt schnell der Überblick für die Kundinnen und Kunden verloren geht.
Verbraucherschützer informiert bei Nortex zu Textilsiegeln

Foto: Karin Gerdes / Hamburg
Vorhang auf für Tristan Jorde von der Hamburger Verbraucherzentrale: Sein Herzensanliegen ist es, Klarheit in den Siegel-Dschungel zu bringen. Der Experte ist am Mittwoch, 22. März um 17 Uhr zu Gast bei Nortex – und will allen Interessierten dort mit einem Vortrag eine Orientierung geben, wie sich bewusst und nachhaltig Kleidung nutzen lässt. Nähere Infos dazu finden sich am Ende dieses Artikels.
Was kann man als Kunde tun, um bewusster einzukaufen? „Früher war es leichter, als man Schafe auf dem Deich gehalten hat“, holt der Experte aus. Dann habe man die Wolle gesponnen und einen Pulli daraus gestrickt. „Diesen Überblick haben wir heute nicht mehr – die Bekleidung kommt meist über globale Lieferketten zu uns, hochkomplex und vernetzt. Kaum noch jemand weiß, was dabei wann passiert.“
„Lieber seltener kaufen, dafür aber hochwertig“
Bis heute sei es daher klug, regional zu kaufen, wenn man die Produktion überschauen könne, so Jorde. „Das Wichtigste ist, lieber seltener und dafür hochwertig zu kaufen. Und lieber etwas kaufen, das sich gut mit anderem kombinieren lässt, sodass es auch nach der zweiten oder dritten Modewelle noch angezogen werden kann.“ Insofern mache es doppelt Sinn, hochwertige Kleidung zu kaufen. Und, wenn möglich, die Kleidung bei einem kleineren Schaden eher auszubessern, als sie wegzuwerfen.
Ähnlich sieht das Nortex-Verkaufsleiter Andy Grabowski. „Meine Oma sagte damals: ‚Junge, für billige Kleidung haben wir nicht genug Geld'“, erinnert er sich. „Gemeint ist damit: Es ist besser, sich lieber einmal etwas weniger zu kaufen, dafür aber dann hochwertigere Bekleidung. Denn sie ist auch nach mehreren Wäschen noch hübsch – und hält, wenn man gut damit umgeht, viel länger als die sogenannte Fast Fashion, die für so viel Umweltschäden und menschliches Leid sorgt.“

Was bedeutet welches Siegel?
Genau davor, dem „Fast-Fashion“-Impuls nachzugeben, warnt auch der Verbraucherschützer Jorde. Die Menschen sähen ein Kleidungsstück für 19,99 Euro – und griffen fast unwillkürlich zu. Zuhause merkten sie dann: ‚Eigentlich passt die Farbe gar nicht.‘ und legen es in den Schrank oder werfen es in den Müll. „Davon müssen wir weg! Wir müssen hinkommen zum bewussten Kauf“, so der Experte.
Zu den Textilsiegeln, die Tristan Jorde von der Verbraucherzentrale Hamburg empfiehlt, gehören das „GOTS“-Zertifikat, „IVN Best“, der Blaue Engel und eingeschränkt, der „Grüne Knopf“. Bei Letzterem würden allerdings nur einige Aspekte wie das Konfektionieren überprüft, der Faser-Anbau aber beispielsweise nicht.
„Fast Fashion“ gilt es zu vermeiden
Das Zertifikat „Oekotex Made in Green“ sei „eigentlich ein gutes Siegel“, urteilt Jorde. Aber ihm ist es optisch dem älteren, wesentlich weniger strengen Oekotex-Zeichen zu ähnlich – es bestehe mithin die Gefahr, dass Verbraucher beide verwechseln könnten. Und das „Fair Wear“-Siegel sage zwar viel über den sozialen Rahmen rund um die Herstellung, aber wenig über die ökologischen Folgen aus.

Insgesamt geht es Jorde darum, ein Bewusstsein für den sorgsamen Umgang mit den Ressourcen zu schaffen. Es gehe um die schiere Masse, wieder lautet das Stichwort Fast Fashion: Im Rhythmus 14-tägiger Kollektionswechsel würde Kleidung en masse ausgeräumt und weggeworfen. „20 Prozent der Kleidungsstücke werden praktisch nie getragen“, macht er deutlich. „Das sind eine Milliarde Kleidungsstücke im Jahr in der Bundesrepublik Deutschland. Deshalb ist Kleidung auch aus der ökologischen und sozialen Perspektive relevant.“
Trend zum bewusst nachhaltigen Kleidungskauf
Bei aller Kritik an der Siegel-gestützten „Verschleierungstaktik“ der Textilbranche gebe es auch Positives zu berichten. „Der Trend, nachhaltige Kleidung kaufen zu wollen, ist da. Es gibt ein deutlich gesteigertes Umweltbewusstsein in der Bevölkerung“, so Jorde. Leider drücke sich das noch in zu geringem Maß in der Praxis aus. Doch zugleich forme sich eine „wachsende und engagierte Gruppe von Verbraucherinnen und Verbrauchern, die bewusst einkaufen und auch bereit sind, mehr Geld auszugeben und mehr Zeit dafür aufzuwenden“.
Was bringt die Zukunft?
Welche Entwicklungen erwartet der Experte für die Zukunft? „Die Utopie wäre, dass der aktuelle Nischenmarkt für ökologisch und sozial bewusste Kleidung zum neuen Standard für alle wird“, sagt Jorde. „Das sehe ich im Moment nicht – derzeit teilt sich der Markt eher auf in diejenigen, die bewusst einkaufen, und die, die aus ökonomischem Druck heraus immer stärker auf Billigkleider zurückgreifen müssen – weil sie sich nichts anderes leisten können.“
Interessierte sind herzlich eingeladen, den Vortrag von Tristan Jorde bei Nortex zu besuchen. Die Veranstaltung ist kostenfrei und dauert zirka eine halbe Stunde, im Anschluss ist Zeit für Fragen. Mehr Infos dazu sind am Telefon unter 04321 – 8700211 verfügbar; unter dieser Nummer sowie auf https://nortex.de/event/22-maerz-vortragsreihe-bei-nortex/ kann man sich für die Veranstaltung anmelden.