Goldschwimmerin Kirsten Bruhn will Menschen mit und ohne Handicap für das Schwimmen begeistern
Neumünster. Sie zählt zu den weltweit erfolgreichsten Schwimmerinnen mit Handicap überhaupt: Kirsten Bruhn hat bei den Paralympischen Spielen drei Gold-, vier Silber- und ebenso viele Bronzemedaillen errungen. 2014 beendete sie ihre aktive Schwimm-Karriere. Heute engagiert sie sich zwischen Berlin und Neumünster als Botschafterin für die Teilhabe aller in der Gesellschaft am Schwimmsport – ob Menschen mit oder ohne Behinderung. Ein Interview.
Frau Bruhn, wie steht es aktuell um die Inklusion im Schwimmport in Schleswig-Holstein?
Kirsten Bruhn: Die Motivation hierzulande ist groß, Inklusion umzusetzen; aber die Theorie ist größer als das eigentliche Verständnis. Das ist ein Punkt, an dem wir dringend und viel arbeiten müssen: Es bringt uns nichts, wenn wir die Sportstätten barrierearm bauen, aber diejenigen, die diese Sportstätten für die Inklusion nutzen sollen, also Sportlehrer, Pädagogen, Trainer und Betreuer, nicht das Verständnis dafür haben.
Woran liegt das?
Es gibt immer noch die Angst, dass dazu eine spezielle Ausbildung gebraucht würde oder etwas passiert und man dann dafür geradestehen muss. Doch wenn einem Sportler die rechte Hand fehlt, braucht er auch nicht mehr Betreuung und Verantwortung als es bei jemandem ohne Handicap der Fall ist. Es kommen immer gleich die Schwerstbehinderten auf’s Portfolio, dabei haben wir viele, die nur ein Defizit in ihrer Funktionsfähigkeit haben, aber noch lange keine Eins-zu-Eins-Betreuung benötigen.
Wie ließe sich das ändern?
Die Herangehensweise muss sich ändern. Von oben muss gesagt werden: Das Thema ist jetzt Integration und Inklusion – und da seid ihr in der Pflicht, diese Kinder zu begleiten und zu fördern. Wir brauchen die Kompetenz derer, die am Beckenrand stehen.

Welche Projekte verfolgen Sie derzeit in Schleswig-Holsteins Schwimmhallen?
Ich begleite eine Athletin aus Elmshorn auf dem Weg in den Spitzensport. Sie hatte vor anderthalb Jahren einen Unfall, ist seither ab dem vierten Halswirbel inkomplett gelähmt. Jetzt kommt sie zwei Mal in der Woche nach Neumünster zum Training. Die Hoffnung ist, wieder eine neue Schwimmerin für die Nationalmannschaft im Para-Schwimmen zu haben – das ist meine Motivation.
Erinnert Sie das an Sie selbst?
Es ist eine ähnliche Geschichte. Ich weiß, wie gut ihr das Schwimmen tut, nicht nur physisch, sondern auch mental. Von daher bin ich sehr daran interessiert, ihr diesen Weg als Begleiterin und meinem Vater zusammen möglich zu machen. So hat sie, mitsamt ihrem Ehemann und Kindern, ein gutes Team an ihrer Seite. Und auch die Bundestrainerin sieht ein großes Potenzial in ihr.
Engagieren Sie sich hierzulande auch aktiv im Breitensport?
Ich bringe Schulklassen in der Böcklersiedlung in Neumünster das Schwimmen bei. Dieser Stadtteil hat sich auf die Fahne geschrieben, dass es ein ganz wichtiger Aspekt in der Entwicklung von Kindern und Jugendlichen ist, dass sie sich im Wasser bewegen und schwimmen können. Denn aufgrund unserer Vielfalt an kulturellen Hintergründen haben wir heute viele Nichtschwimmer und werden auch immer mehr kriegen.
Dafür sorgt auch die Pandemie…
Ja, wir kriegen durch Corona immer mehr Nichtschwimmer. Was das Schwimmenlernen angeht, haben wir schon zwei Jahrgänge verloren, jetzt sind wir dabei, den dritten zu verlieren. Das aufzuholen, ist sehr schwierig – da müssen Schulen und Vereine jetzt intensiv zusammenarbeiten.
Wie könnte das gelingen?
Dass das Schulschwimmen ständig ausfällt, ist ein absolutes No-Go. Es müsste ein Pflichtprogramm sein – und wir brauchen die Kompetenz derer, die am Beckenrand stehen: Lehrer, die sich dazu verpflichtet fühlen und einfach Bock darauf haben, das Schwimmen zu vermitteln. Anders kommen wir da nicht weiter.
Sehen Sie sich da in einer Vorbild-Funktion?
Meine Leidenschaft ist das Schwimmen. Wenn ich einmal auf mein Leben zurückblicke, möchte ich sagen können: Ich habe alles dafür getan, dass das Verständnis dafür wächst, wie wichtig der Sport für uns alle ist – egal ob jung oder alt, dick oder dünn, mit oder ohne Handicap.
Teilhabe beim Schwimmen und in der Sportförderung – wo steht Deutschland da im internationalen Vergleich?
Die skandinavischen Länder sind besser aufgestellt als wir. Sie nehmen die Menschen, so wie sie sind und versuchen sie in ihren Fähigkeiten und Talenten zu unterstützen. Da müssen wir noch vieles lernen. Amerika und Kanada sind perfekt im Spitzensport-Bereich: dort fängt die Sichtung bereits in den Schulen an. Im Osten dagegen gibt es einen Drill und Überlebenskampf, damit die Athleten sich und ihre Familien über den Sport finanzieren können.
Generell kann man die Förderung der Spitzensportler und des Nachwuchses nur über einen breit aufgestellten Sport erreichen. In Deutschland ist die Sportförderung großenteils Ländersache – und die handhaben das sehr unterschiedlich. Wenn wir das vereinheitlichen könnten, wären wir schon einen großen Schritt weiter.
Eine typische Woche bei Kirsten Bruhn ist…
… sehr unstet, ich habe einen ziemlich unregelmäßigen Arbeitsablauf. Wenn ich nicht auf Reisen bin, stehe ich um sechs Uhr auf, bin von 7 bis 9 Uhr selbst aktiv in der Schwimmhalle. Ich führe viele Gespräche mit Athleten aus dem Kader sowie vom Nachwuchs, versuche mich auf den aktuellen Stand der Dinge zu bringen. Mindestens ein Ohr und Auge habe ich stets für meinen Arbeitgeber, das Unfallkrankenhaus Berlin: dort arbeite ich als Botschafterin für Prävention, Rehabilitation und Sport. Ich vermittle Kindern sowohl in der Praxis im Wasser als auch in der Turnhalle, wie schön es ist, sich zu bewegen. Abends halte ich Vorträge in Bildungseinrichtungen und Unternehmen, um in diesem Hinblick Impulse zu geben.
Wann haben sie mal Zeit für sich und Ihre Familie?
Da muss man sehen, wo Lücken bleiben. Ich versuche oft, nach Schleswig-Holstein zu meinem Vater, zu meinen jungen Nichten und Neffen zu fahren, um den Kontakt zu behalten. Und dann habe ich irgendwann auch mal Zeit, um einfach nur für mich und mein Leben da zu sein.

Beim Inklusions-Schwimmcup am Samstag, 25. Juni, wird die Teilhabe aller gelebt: Der vom Polizeisportverein Union Neumünster ins Leben gerufene Inklusions-Schwimmcup, kurz ISC, sorgte im Sommer 2019 von Beginn an für Begeisterung. Dabei war natürlich auch eine gehörige Portion Ehrgeiz im Spiel, schließlich waren rund 200 Teilnehmende aus den norddeutschen Bundesländern nach Neumünster gekommen, um sich miteinander sportlich und fair zu messen. Das gemeinsame Ziel: Hier kann jedermann und jederfrau einmal Schwimmen unter Wettkampf-Bedingungen ausprobieren. Schirmherrin des ISC ist Paralympics-Olympionikin Kirsten Bruhn.
Aufgrund Covid-19 musste in den Folgejahren die erneute Austragung der Schwimmwettkämpfe, an denen Menschen mit und ohne Behinderung teilnehmen können, ausfallen. Doch in diesem Jahr sind die Veranstalter guter Dinge, dass der ISC am Samstag, 25. Juni, in der Schwalestadt stattfinden wird. Dafür sorgt neben Kirsten Bruhn ein engagiertes Team von Freiwilligen des Polizeisportvereins Union Neumünster. Wichtig: Bei Bedarf können sich die angereisten Teilnehmenden in passenden Unterkünften von der Anstrengung wieder erholen.
Übrigens: Zu dem Ereignis am 25. Juni 2022 ist unter anderem auch Ministerpräsident Daniel Günther eingeladen. Der Landeschef und CDU-Politiker war bereits 2019 dabei und hatte die ISC-Organisatoren ausdrücklich gelobt: „Dass Sie die Wichtigkeit von Inklusion und Schwimmen in den Fokus der Öffentlichkeit rücken, verdient unser aller Hochachtung“, sagte Günther dazu. Das Modehaus Nortex unterstützt die Veranstaltung im Bad am Stadtwald.