Fasziniert von Geschichte vor Ort

Schleswig-Holstein in der Steinzeit: Großes Interesse an Archäologie-Vortrag bei Nortex

Neumünster. Wie weit zurück reicht das Interesse, mit dem wir heute auf die Geschichte Schleswig-Holsteins blicken – und darauf, wie unsere Vorfahren hier gelebt und ihre Gesellschaft entwickelt haben? Nach dem jüngsten „Themen-Mittwoch“ bei Nortex könnte die Antwort lauten: das Interesse ist enorm, ältere und auch jüngere Menschen finden die Archäologie vor der eigenen Haustür spannend. Professor Johannes Müller von der Kieler Christian-Albrechts-Universität hatte im Modehaus einen Vortrag über steinzeitliche Megalithgräber gehalten – und rund 70 Besucher zeigten sich fasziniert von dem Facettenreichtum der regionalen Historie.

Das Megalith-Grab „Harhoog“ auf Sylt. Foto: Michael Gäbler /Wikipedia

Das Fremdwort ist schnell erklärt: „Mega“ steht für groß, „Lith“ ist der Begriff für Stein. Megalithgräber sind also Großsteingräber, gewaltige Bauten, die aus massiven, teils gewaltigen Steinen zusammengesetzt und in denen die Toten bestattet wurden. „Die ältesten dieser Anlagen finden sich um etwa 4800 vor Christus in der Bretagne“, so der CAU-Archäologe. „Irgendwann um das Jahr 3700 herum haben wir diese Gräber auch bei uns.“

Das Megalithgrab von Langholz. Foto: ALSH

Als die Bauern sesshaft wurden

In Schleswig-Holstein wisse man von insgesamt 3500 solcher Anlagen. „Wenn wir in ein solches Grab blicken, sehen wir zahlreiche Schädel und Langknochen“, berichtet der Forscher von Ausgrabungen. Durch die Kollektivbestattung gehe der Mensch als Individuum in der Gemeinschaft der Ahnen auf. Die Großsteingräber gab es ihm zufolge an vielen Orten von Sylt bis Flintbek, im Lauenburgischen ebenso wie in Angeln. Häufig prägten sie als landschaftliche Marken die Gegend, in der sie stehen – etwa entlang früherer Handelswege.

Viele der Besucherinnen und Besucher des Vortrags waren fasziniert von der steinzeitlichen Geschichte Schleswig-Holsteins, die sich direkt vor der Haustür erleben lässt. Foto: Nortex

Dass sie überhaupt errichtet wurden, hängt laut Müller damit zusammen, dass die damaligen Bauern sesshaft wurden. Sie betrieben eine Art Brandfeldbau, damals seien nachweislich bereits Einkorn, Gerste, Apfelbäume angebaut worden. „Ab 3600 vor Christus öffnet sich die Landschaft extrem“, sagte der Wissenschaftler: „Es ist eine Zeit, in der sich die Landwirtschaft ganz entscheidend ausprägt und in der wir die Großsteingräber vorfinden.“

Älteste Wagenspuren Europas stammen aus Flintbek

Zugleich kam der Pflug auf, von Tieren gezogen, und auch der Wagen. „Sie haben sozusagen die Erfindung der deutschen Autoindustrie 3400 vor Christus in Flintbek, weil: In Flintbek haben wir die ältesten Wagenspuren Europas gefunden“, so Müller mit einem Schmunzeln: „Hier wird Kulturlandschaft in Norddeutschland das erste Mal erfunden.“

Bildunterschrift2: Die beiden dunklen, linearen Verfärbungen sind die Wagenspuren, die die Forschenden in einem der Langbetten nahe Flintbek entdeckten. Foto: Dieter Stoltenberg/CAU

Zunächst seien die Wägen im religiös-rituellen Funktion eingesetzt worden. Mit ihnen transportierten die Steinzeitmenschen Feuerstein, der zuvor stark erhitzt und dadurch an der Oberfläche weiß geworden war. „Dieser krakelierte Feuerstein wird in den Megalith-Gräbern Schleswig-Holsteins eingesetzt als weiß scheinender Flur auf dem Boden, auf dem die Leichen abgelegt werden.“

„Die Toten haben nicht schlecht gelebt!“

In den Gräbern wurden Keramiken und Töpfe geborgen, die wie Trichterbecher aussehen; daher rührt der Name der „Trichterbecher-Menschen“. In Kugelamphoren und Henkelkrügen hatten sie ihren Ahnen eine Art Wegzehrung für das Leben nach dem Tod mitgegeben. „In der Keramik lassen sich heute unterschiedliche Fette nachweisen, aus denen Rückschlüsse gezogen werden können: In den Töpfen waren demnach wertvolle Milchprodukte, auch Rindfleisch und Sanddornöl“, so Müller. Und fügte süffisant hinzu: „Die Toten haben nicht schlecht gelebt!“

Professor Johannes Müller brachte den Zuhörenden Wissenswertes und Amüsantes rund um die Megalithgräber im Norden näher. Foto: Nortex

3100 vor Christus wurden die letzten Megalithgräber in Norddeutschland errichtet, danach endete diese Epoche recht schnell. Warum, wisse man bislang nicht, so Müller. Dafür gebe es Theorien, welche Funktionen die Gräber neben der Totenbestattung außerdem hatten: In ihrer unmittelbaren Nähe gab es demnach umfriedete Plätze, bis zu fünf Hektar groß.

Hier wurde das Wissen weitergereicht

Dort fanden offenbar rituelle Handlungen statt – so wurden beispielsweise Feste gefeiert und Votivgaben an die Götter geopfert. In einer Gesellschaft, in der es noch keine Schrift gab, musste die gemeinschaftliche Erinnerung mündlich von einer Generation zur nächsten weitergegeben werden; genau das habe an den Megalithgräbern stattgefunden, so Müller.

Dadurch, dass ihr Bau viel Energie gefordert habe, hätten sie zudem das Gewaltpotenzial in der steinzeitlichen Gesellschaft verringert, vermutet der Experte. Der entscheidende Aufwand für den Bauherrn dabei sei nicht der Transport der Steine, sondern die Verpflegung der Menschen, die mithelfen.

Langsam zu hohem Prestige

Je länger also der Bau dauere, desto höher die Investition – und desto höher das damit verbundene gesellschaftliche Prestige. „Wenn Sie mal ein Megalithgrab bauen“, riet der Wissenschaftler folgerichtig den Besuchern bei Nortex, „bauen Sie es langsam; dann ernten Sie auch hier in Neumünster die höchste Achtung.“

Zwei Besucherinnen zeigten dem Experten Fundstücke aus Metall – doch aus der Steinzeit stammt der Schmuck offenbar nicht. Foto: Nortex

Das Publikum lachte – dann hatten mehrere Zuhörer Fragen, die der Forscher geduldig beantwortete. Unter anderem, ob es in anderen Regionen Europas ähnlich war wie in Schleswig-Holstein, als die Ära der Megalithgräber endete? „Erstaunlicherweise genauso“, antwortete der Wissenschaftler; nur auf den britischen Inseln nicht, dort habe sich der Kult noch weitere 1000 Jahre gehalten.

Zwei Fundstücke zum Schluss

Auch Regina Geissler und Almut Störcker hatten den Vortrag besucht und waren begeistert. Die beiden Frauen baten den Professor nach der Veranstaltung, einen Blick auf offenkundig sehr alte Schmuckstücke aus Metall zu werfen, die sie nahe Laboe und am Barsbeker See gefunden hatten. Der Steinzeitforscher ging zwar davon aus, dass beide Relikte nicht aus „seiner“ Epoche stammen, empfahl ihnen aber, einen Experten beispielsweise vom Archäologischen Landesamt in Schleswig zu fragen.