Ein Puzzle durch Zeit und Raum

Vortrag bei Nortex am 19. April: Interview mit Familienforscher Dr. Klaus Kohrt vom Verein für Familienforschung Schleswig-Holstein

Eckernförde/Neumünster. Die Namen der Großeltern kennen wohl die meisten Menschen in Schleswig-Holstein. Aber wie sieht es mit deren Eltern aus? Welches Schicksal durchlebten die Vorfahren noch weiter zurück in der Vergangenheit? Seit der Pandemie ist das Interesse an der eigenen Familiengeschichte gestiegen, sagt der Eckernförder Dr. Klaus Kohrt vom Verein für Familienforschung Schleswig-Holstein, kurz SHFam. Der Experte hält dazu am Mittwoch, 19. April ab 17 Uhr einen interessanten Vortrag bei Nortex – Interessierte sind herzlich willkommen, die Veranstaltung ist gratis. Mehr Infos lesen Sie am Ende des Interviews.

Herr Kohrt, Stichwort Familienforschung – was ist das eigentlich?

Klaus Kohrt: Familienforschern geht es darum, familiäre Zusammenhänge zu erforschen, sowohl auf die Vor- als auch die Nachfahren bezogen. Wer möchte nicht mehr darüber wissen, wie seine Vorfahren vor mehreren Generationen gelebt haben? Wer weiß, vielleicht waren es ja adelige Grafen von und zu? Oder, was wahrscheinlicher ist, eben auch „nur“ Tagelöhner. Spannend ist es in jedem Fall – hinter allen Geburts- und Sterbedaten stehen ja Lebensschicksale.

Also könnte es auch Diebe, Mörder oder Scharfrichter unter meinen Ahnen gegeben haben?

Schon möglich. Der Beruf des Henkers galt allerdings als „unreiner“ Beruf, der meistens nur vom Vater auf den Sohn vererbt wurde, weil niemand anderes das machen wollte. Die Familien haben zwar nicht schlecht verdient, waren aber in der Gesellschaft geächtet.

Wie funktioniert heute Familienforschung vor Ort?

Komfortabel und effektiv: Inzwischen können Hobby-Genealogen immer öfter auch digital forschen – die Digitalisierung macht es möglich. Foto: Nortex

In der Region Eckernförde beispielsweise haben Freiwillige innerhalb der Heimatgemeinschaft vor über 70 Jahren damit angefangen. Wir fühlen uns zuständig für den Bereich Schwansen, Dänischer Wohld, Hüttener Berge und die Stadt Eckernförde. Einige Arbeitsgruppen innerhalb der Heimatgemeinschaft betreiben Recherchearbeit und haben für sämtliche 13 Kirchspiele im Altkreis die Kirchenbücher „verkartet“. Außerdem finden in Kooperation mit dem Verein „SHFam“ monatliche Treffen statt, bei denen die Teilnehmer sich über ihre Erfahrungen aus der eigenen Familienforschung austauschen.

Wie läuft das „Verkarten“ ab?

Wir erfassen die Geburten, die Hochzeiten und die Sterbefälle aus den Kirchenbüchern, schreiben sie auf Karteikarten und Familienblätter, auf denen wir alle Daten zu einzelnen Familien zusammentragen. Diese beiden Leute (zeigt auf die Namen zweier Eheleute) zum Beispiel haben am 10. August 1816 in Kosel geheiratet. So hießen der Bräutigam und die Braut, das waren die Eltern und das ihre Kinder.

Das klingt erst einmal recht trocken…

Das ist es ganz und gar nicht. Es geht einerseits darum, die Lebensumstände verstehen zu lernen, unter denen unsere Vorfahren gelebt haben. Andererseits ist das Puzzeln spannend, also die Zusammenhänge herauszufinden und zu vervollständigen. Und wer Puzzles mag, weiß, dass die faszinieren und fast auch süchtig machen können.

Wie sind Sie persönlich dazu gekommen?

Bei mir ging’s mit der Familienforschung richtig los, als ich aufgehört habe, in Vollzeit zu arbeiten. Das war etwa 2008, damals bin ich aus München nach Borby gezogen, einer Gemeinde, die heute Teil von Eckernförde ist. Übrigens zufällig genau dorthin, wo früher meine Vorfahren väterlicherseits gelebt haben – und bis heute Verwandte von mir wohnen

Wie weit zurück haben Sie geforscht?

Handgeschriebene Details aus dem Familienstand: Die Kopie eines Kirchenbuchs von etwa 1755 aus der Region Dithmarschen. Foto: Nortex

Zum Teil bis ins Jahr 1700, also gute 300 Jahre zurück in die Vergangenheit. Die mütterliche Linie aus Pommern war bereits weit erforscht, es gab regelmäßige Familientreffen, sodass man guten Kontakt untereinander hatte. Was Familienforschern häufig vorgeworfen wird, ist, dass sie vor allem untersuchen, ob sie adelige Verwandte haben oder von Karl dem Großen abstammen. Das ist bei mir nicht der Fall: meine Vorfahren sowohl in Pommern als auch in Schleswig-Holstein waren Tagelöhner, da gibt’s nix zu holen, kein Adel und keine großen Erbschaften. Das wird bei den meisten so sein. Es ist auch nicht mein Ehrgeiz, vom dänischen König „Gorm dem Alten“ abzustammen – auch wenn das der Stern an der Brust jedes Familienforschers wäre.

Was sind die größten Herausforderungen bei der Recherche?

Man braucht vor allem Geduld und Fleiß. Es ist eine zeitaufwändige Beschäftigung, wenn sie intensiv betrieben wird. Man muss auch eine gewisse Frustrationstoleranz haben, weil sich nicht jede Frage auf Anhieb beantworten lässt. Zwar haben wir ein Reservoir an Informationen, aber natürlich gibt es Lücken. Wenn jemand vor 200 Jahren verzogen ist, muss man erst einmal rausfinden, wohin, um dann im entsprechenden Archiv weiterzusuchen. Aber manchmal endet die Recherche in einer Sackgasse.

Nennen Sie uns ein Beispiel?

Meine mütterliche Linie kommt aus Hinterpommern, heute in Polen. Da sind bei Kriegsende Unmengen von Unterlagen verloren gegangen, aus verschiedensten Gründen. So hat man kaum eine Chance, Hinweise zu den eigenen Vorfahren zu finden. Und wenn doch, dann ist es ein absolutes Glückserlebnis.

Liegt Familienforschung im Norden im Trend?

Mit der Corona-Pandemie stieg das Interesse spürbar an. Es finden mehr Leute als früher den Weg zu uns und fragen: „Erzähl‘ doch mal, wie geht das?“ Die meisten kommen durch ein familiäres Ereignis darauf – aus Anlass von Jubiläen, runden Geburtstagen oder wenn Verwandte gestorben sind und sie beim Ordnen des Nachlasses auf alte Urkunden und Bilder gestoßen sind.

Ein paar gute Tipps, bitte: Wie startet man als Laie?

Besonders für Einsteiger gibt es Bücher, die gut ins Thema einführen. Und es gibt mehrere Vereine in den einzelnen Regionen Schleswig-Holsteins, deren Mitglieder sich oft seit vielen Jahren treffen und austauschen. Wer sich als Laie interessiert, geht einfach zu einem der Stammtische und Seminare, die veranstaltet werden, hört zu und lässt sich beraten.

Wie kann ich mich auf so ein Treffen vorbereiten?

Alles zusammentragen, was dazu in der Familie gesammelt wurde. Das sind zum Beispiel alte Bilder, Urkunden zu Geburten, Taufe, Heiraten und Tod. Auch Arbeitsverträge – je mehr, desto besser, bevor es in den Müll wandert. Ganz wichtig ist es, die lebenden Verwandten zu befragen! Wenn ich mit 65 anfange, Familienforschung zu betreiben, muss ich mich ranhalten, um noch Eltern, Onkel oder Tanten sprechen zu können und Informationen zu bekommen, die nur im Gedächtnis der älteren Generation vorhanden sind.

Geduld und Ausdauer gehören dazu: Karteikästen erleichtern die systematische Suche nach den eigenen Verwandten in der Region. Foto: Nortex

Haben Sie durch ihre Recherche einen anderen Bezug zur Zeit selbst bekommen?

Zumindest weiß ich heute viel mehr über die Lebensumstände meiner Vorfahren und über die Migrationsbewegungen, die damals stattgefunden haben – sei’s von einem Dorf ins nächste, wenn es darum ging, in die Fremde auszuwandern oder hier eine neue Heimat zu finden. Ich finde es spannend, all das teilen zu können, was Familienforschung ausmacht – deshalb erzähle ich so gerne darüber. Vielleicht war die Familienforschung für andere Menschen bisher nicht so einfach zugänglich; deshalb versuche ich, Hilfestellung zu geben, damit sie nachvollziehen können, was mit ihren Vorfahren passiert ist.

Wenn man das Schicksal seiner Vorfahren von 1700 kennenlernt: hat das Auswirkungen, wie man auf sein eigenes Leben blickt?

Ja, schon. Ich für meinen Teil habe das Gefühl, dass man heute ganz zufrieden sein kann mit den Rahmenbedingungen, in denen wir leben. Wenn man das vergleicht mit den harten Lebensumständen, unter denen etwa Landarbeiter früher auf den Gütern arbeiteten, ist der Unterschied gewaltig. Damals war die Kindersterblichkeit sehr hoch: Wenn man die Kirchenbücher durchgeht, fällt einem auf, dass die Hälfte aller Kinder vor dem fünften Lebensjahr verstarb. Es konnte auch sein, dass plötzlich das halbe Dorf an Cholera erkrankte und ganze Familien innerhalb von einer Woche dahingerafft wurden. Das bringt einen schon ins Grübeln. Demut wäre zu viel gesagt; aber man lernt, den Komfort zu schätzen, den man heute genießt. Und die relative Sorglosigkeit, mit der man ein gutes Leben führen kann.

Dr. Klaus Kohrt vor dem Prinzenpalais in Schleswig. Im Landesarchiv werden zahlreiche historische Schriften verwahrt, in denen der Familienforscher zu seinen Vorfahren recherchiert. Foto: Nortex

Wie ist die Genealogie hier und deutschlandweit aufgestellt?

Unser Verein „SHFam“ fühlt sich für ganz Schleswig-Holstein inklusive Nordschleswig zuständig, ist aber eher klein. Wir haben 280 Mitglieder sowie 73 Tauschpartner, darunter auch etwa ein Dutzend weiterer Genealogie-Vereine hier im Norden. In Deutschland gibt es den Dachverband „Deutsche Arbeitsgemeinschaft genealogischer Verbände“ mit über 70 Mitgliedsvereinen; darin sind ungefähr 20.000 Familienforscher organisiert.

Und bei unseren europäischen Nachbarn?

Das bewegt sich beispielsweise In Schweden in ganz anderen Größenordnungen: Jedes Jahr kommen dort mehr als 5000 Leute zum großen Genealogie-Treffen. Der deutsche Gemeinschaftsstand dort ist sehr gefragt, weil viele Schweden verwandtschaftliche Beziehung nach Deutschland haben – in alten Handelszeiten und durch die Gutshöfe an der Ostsee gab es ehedem einen regen Austausch.

Wie „international“ ist Szene der Familienforscher?

Wir kriegen viele Anfragen aus den USA. Dorthin waren zu verschiedenen Zeiten Menschen aus Schleswig-Holstein und Pommern ausgewandert – und ihre Nachkommen fragen sich heute: „Wo kommt meine Familie her – und wie haben die gelebt?“ Manche besitzen eine Auswanderungsurkunde, auf der die frühere Heimat der Vorfahren eingetragen ist; Preußen zum Beispiel oder das Herzogtum Schleswig. Das reicht natürlich noch nicht, aber es ist ein Anfang. Und häufig kriegen wir heraus, wo die Vorfahren gewesen sein könnten.

Goldgrube für Familienforscher: Im Landesarchiv lagern Zigtausende Blätter, auf denen Geburt, Taufe, Heirat und Tod der Menschen, die vor mehreren hundert Jahren in Schleswig-Holstein lebten, vermerkt sind. Foto: Nortex

Hilft die Digitalisierung den Familienforschern?

Die Digitalisierung hat uns gerade während der Pandemie die Forschungsmöglichkeiten erhalten. Besonders interessant ist dabei der Verein für Computergenealogie mit seinen Mitmach-Projekten, bei denen Daten von vielen Freiwilligen digital erfasst und online zugänglich gemacht werden. In der Folge gibt es beispielsweise zu jedem Wohnplatz in ganz Mitteleuropa Angaben zu den Verwaltungsstrukturen, durch die Zeit hindurch. Es ist noch längst nicht alles vollständig – aber es ist ein sehr vielversprechender Anfang.
Auch die Heimatgemeinschaft arbeitet daran, solche Daten digital verfügbar zu machen, beispielsweise, indem wir aus unserer Verkartung online-Ortsfamilienbücher erstellen. In Zukunft kann man dann von zuhause recherchieren – das wird vielen den Einstieg in die Familienforschung erleichtern. Inzwischen ist bei den Vereinen angekommen, dass die Vernetzung wichtig ist. Früher hieß es: mein Gebiet, meine Daten, meine Forschung. Heute tauscht man sich aus und hilft sich gegenseitig. Das finde ich ermutigend.

Wie steht es dabei um den Datenschutz?

Die Daten Verstorbener unterliegen nicht mehr dem Datenschutz. Zudem wurde 2009 das neue Personenstandsgesetz verabschiedet, nach dem Standesamts-Einträge zunächst über eine bestimmte Frist geschützt sind: 110 Jahre nach der Geburt, 80 Jahre nach der Heirat und 30 Jahre nach dem Tod eines Menschen. Nach Ablauf dieser Fristen sind Standesämter verpflichtet, solche Urkunden für die Allgemeinheit zugänglich zu machen. Das ist ein großer Fortschritt für die Familienforscher.

Vortrag bei Nortex

Im Rahmen der Nortex-Veranstaltungsreihe „Themen am Mittwoch“ hält Dr. Klaus Kohrt einen Vortrag zur Familienforschung in Schleswig-Holstein. Im Modehaus wird der Experte einen Einblick geben, wie die Recherche nach den eigenen Vorfahren grundsätzlich funktioniert und wie sie selbst mit einfachen Mitteln beginnen können, einen Stammbaum anzulegen. Der kostenfreie Vortrag findet am 19. April um 17 Uhr bei Nortex statt und dauert eine halbe Stunde. Im Anschluss ist Zeit für Fragen und Diskussion. Mehr Infos und die Möglichkeit zur Anmeldung finden sich unter Telefon 04321-87000 sowie auf www.nortex.de.

Klaus-Dieter Kohrt ist Vorsitzender des Vereins „SHFam“. Er lebt bei Eckernförde und betreibt seit 2008 intensiv Familienforschung. Neben Recherchen in der eigenen Familie – mütterlicherseits stammt sie aus Hinterpommern, väterlicherseits aus Angeln und Schwansen – pflegt er zu vielen genealogischen Vereinen Kontakte und organisiert monatliche Treffen, auf denen sich sowohl Anfänger als auch Fortgeschrittene über Familienforschung austauschen können. Mehr Infos finden sich auf www.shfam.de.