Auf der Passat übers Meer

Heftige Stürme, schöne Südsee: Walter Düring war Zimmermann an Bord des legendären Viermasters

Travemünde. Fix mit der Fähre übersetzen, an der Pier entlang und die Gangway rauf – das war viele Jahre lang ein täglicher Weg für Walter Düring. Der Travemünder führte Besucher an Bord der Passat, eines großen Viermasters im Hafen nahe Lübeck. Er erzählte von den Reisen über die Weltmeere und allerlei gepfefferte Anekdoten dazu – und es gab schwerlich einen besser geeigneten Mann dafür: Der 85-Jährige hat in den 1950er Jahren noch selbst auf der Passat angeheuert, als Schiffszimmermann segelte er auf der Route Europa – Südamerika mit. Bis heute bleibt für ihn jeder Besuch an Bord ein besonderes Gefühl.   Auf großer Fahrt im Südatlantik   

Vor 110 Jahren lief die Passat bei Blohm & Voss vom Stapel und wurde zunächst als Frachtsegler eingesetzt, transportierte unter anderem Weizen von Australien hierher und Maschinen nach Übersee. Heute prägt die große Bark aus Stahl den Travemünder Hafen: Das Museumsschiff mit einer Länge über alles von 115 Metern und 14 Meter Breite gilt als ganz besonderes Wahrzeichen.

Die Passat am Priwall: Bis heute zieht die legendäre Viermast-Bark als Museumsschiff zahlreiche Besucher an. Foto: Jürgen Howaldt

Konkurrenz für jedes Dampfschiff

Die vier Masten ragen hoch in den Himmel; in den aktiven Zeiten des Schiffs konnten die Seeleute, die zur Stammbesatzung zählten, und etwa 85 Kadetten eine Segelfläche von bis zu 4100 Quadratmeter Tuch aufziehen. Das gab bei günstigem Wind ordentlich Fahrt: die Passat machte mit rund 17 Knoten der Dampfschifffahrt eine ernst zu nehmende Konkurrenz.   

Ab Mitte der 1950er Jahre diente sie als Segelschulschiff. Hier beginnt die gemeinsame Geschichte von der Passat und Walter Düring: Mit 17 Jahren kam er Mitte der 1950er Jahre als Schiffszimmermann an Bord. Was er damals erlebte, schildert er hier – vom Alltag an Bord etwa, auf den er mit einem versonnenen Lächeln zurückblickt: „Das war mit allem Drum und Dran. Mal war Sturm, mal war tagelang Flaute, das letztere ist viel schwerer auszuhalten“, sagt er.   

Einmal Buenos Aires und zurück: Walter Düring fuhr 1955 auf der
Passat über den Atlantik. Foto: Nortex

„Geblitzt“ im Ärmelkanal

Kaum an Bord des heutigen Museumsschiffs, beginnt Düring schon zu erzählen: „1955 fuhren wir durch den Ärmelkanal – damals wurde der Schiffsverkehr noch direkt auf englischer und französischer Seite bewacht. Und wir bekamen an Bord die Mitteilung, dass wir mit 16,4 Meilen pro Stunde ‚geblitztʻ worden waren!“ Stolz auf die Leistungsfähigkeit des Schiffes schwingt in der Stimme mit, auch nach so vielen Jahren noch.

Am 19. Oktober 1955 stach Düring in Bremerhaven auf der Passat in See: das liest er in einem Logbuch nach, das sich an Deck befindet. 47 Tage dauert demnach die Reise nach Bueno Aires. „Es war eigentlich eine Flautenfahrt, bis auf den Sturm im Ärmelkanal, in der Nacht“, schildert Düring: Die Gischt spritzte bis weit hinauf in die Masten; an der Vorkante nahm das Schiff schon Wasser auf. „Das Schiff liegt im Wellental, dann schöppt der nächste Brecher obenrüber.“

Der 85-Jährige zeigt an Bord des Museumsschiffs, welche Funktionen
das Tauwerk in der Takelage der Passat hat. Foto: Nortex

14 Stunden und mehr auf den Beinen

Auf dem Hinweg wurden Maschinen, Möbel und auch Klaviere aus Europa gen Übersee transportiert, gut festgezurrt in den geräumigen Laderäumen. Auf dem Rückweg waren die bis obenhin gefüllt mit Gerste, geladen in Südamerika. 35 Mann gehörten zur Stammbesetzung der Passat. Darunter waren Steuerleute, Bootsmann, Segelmacher, Koch, eventuell ein Steward: „Jeder hatte seine Funktion an Bord“, erläutert Düring. Je zwölf Mann waren in der Mannschaftslogis untergebracht: in ziemlich schmalen Kojen.

Konnte man darin aufrecht sitzen? „Nein, natürlich nicht!“ So einen Luxus gab es damals nicht – zumindest nicht für Matrosen. Die schoben stattdessen bis zu 14 Stunden Dienst an einem Tag – je nachdem, für welche Wache sie eingeteilt wurden. Düring: „Wenn Not am Mann war, dann musste die Freiwache mit raus – und wenn es mitten in der Nacht war, das spielte keine Rolle.“ Dann musste jeder Handgriff sitzen.

Als Täufling vor dem Meeresgott

Von Fußküssen und einer spitzen Nadel Als die Passat sich dem Äquator näherte, stand für den Neuling das Ritual der Taufe an. „Das ist ein einmaliges Erlebnis“, sagt Düring heute versonnen. Damals ging es aber wohl ziemlich derb zu: Am Abend vorher wurden die Täuflinge von der Besatzung zusammengetrieben und in eine Kammer gesperrt. „Wenn du nicht schnell genug warst, gab es einen mit dem Tampen“, weiß er noch. „Dann ging es einzeln vor den Meeresgott Triton: ‚Wie hast du dich betragen?‘ hieß es. Bist du ein Naseweis gewesen, dann richtete sich danach auch deine Behandlung …“

So musste er mit Holzteer und Öl eingeschmierte Füße küssen. Und sich auf einen kleinen Hocker mit einem Schlitz drin setzen: darunter eine Nadel, die hochfuhr – bis ins Sitzfleisch. „Vom Astronom wurde die Linie des Äquators gezeigt: Man bekam zwei Weinflaschen als Fernglas, mit Seewasser gefüllt“, erzählt Düring. „Dann nahm er die Finger weg – und du hattest eine Augenspülung!“

Walter Düring kann anhand der Logbuch-Einträge genau nachvollziehen, wann die „Passat“ Mitte der 1950er Jahre welchen Hadfen anlief – und was zwischendurch so alles an Deck passierte. Foto: Nortex

„Ich möchte die Zeit nicht missen“

Nach all der Pein gab es abends die Belohnung: der Kapitän händigte den Täuflingen ihren Taufschein aus. Auf der restlichen Fahrt beobachtete er Teufelsrochen und Seeschildkröten, die nahe dem Schiff durchs Wasser schwammen. „Weihnachten verbrachte ich im Garten einer deutschen Familie in Buenos Aires, bei der wir eingeladen waren. Wir saßen nachts unter einem Apfelsinenbaum, das war für uns eine Welt für sich“, schildert er.

Acht Monate lang segelte Walter Düring auf der Passat, dann wechselte er den Job. Wie blickt er heute auf diese Zeit zurück – die vergangene Ära der Windjammer? „Die Zeit war sehr positiv. Sie hat uns geformt; es geht um den Zusammenhalt beim Segeln, man muss sich aufeinander verlassen können. Ich möchte die Zeit nicht missen.“