Es ist ein blaues Band, das quer durch Schleswig-Holstein führt und dabei zwei Meere miteinander verbindet: der Nord-Ostsee-Kanal, kurz NOK. Er gilt als meistbefahrene künstliche Wasserstraße der Welt – heute vor 125 Jahren wurde das Jahrhundertbauwerk von Kaiser Wilhelm II. eröffnet.
Schleswig-Holstein. Gefeiert wird das Jubiläum allerdings erst im kommenden Jahr: die Festlichkeiten waren eigentlich jetzt im Juni geplant, wurden aufgrund der Pandemie aber verschoben. Im Sommer 2021 sollen dann ein Schiffskorso, ein Festakt und mehrere Ausstellungen zur Erbauung und Geschichte des Kanals nachgeholt werden.
Ein paar Zahlen zum NOK zeigen seine bis heute gewaltigen Dimensionen auf: Er ist knapp 99 Kilometer lang und führt von Brunsbüttel an der Nordsee bis nach Kiel-Holtenau in die Ostsee. Gemessen am Wasserspiegel ist der Kanal etwa 160 Meter breit, am Grund in elf Metern Tiefe sind es immerhin noch 90 Meter Breite.
800 Kilometer gespart
Bevor der Kanal fertiggestellt worden war, mussten die meisten Schiffe den langen und gefährlichen Umweg über die nördlichste Landspitze Dänemarks, Skagen, nehmen. Heute kürzen jährlich rund 30.000 Schiffe auf dem NOK die Fahrtstrecke zwischen Nord- und Ostseeraum ab. Für die knapp 99 Kilometer lange Passage brauchen sie etwa acht Stunden – und sparen gleichzeitig rund 800 Kilometer Weg und entsprechend Zeit ein.
Die Idee, den Seeweg um das stürmische Skagen zu vermeiden, war nicht neu. Schon die Wikinger befuhren mit ihren Drachenbooten die Schlei, bugsierten die Schiffe dann über eine Landenge bis in die Treene, von der aus die Eider und somit die Nordsee erreichbar waren. Das war allerdings keine Option für größere Schiffe – ähnlich wie beim Eiderkanal, den Dänemarks König Christian VII. Ende des 18. Jahrhunderts erbauen ließ.
Bismarck wollte den Kanal
Die Geschichte des Nord-Ostsee-Kanals beginnt bereits 1864 – damals, während des deutsch-dänischen Krieges, hatte der preußische Kanzler Otto von Bismarck eine erste Studie in Auftrag gegeben für eine Wasserstraße zwischen den Meeren, „welche alle Kriegs- Handels- und Dampfschiffe gut passieren können“.
Bismarck galt aus militärischen Überlegungen heraus als Verfechter des Projekts: Die deutsche Flotte sollte Gelegenheit haben, „jederzeit von der Ostsee in die Nordsee zu gelangen, ohne unter dänischen Kanonen passieren zu müssen“.
Rund 20 Jahre später billigte der Reichstag ein Gesetz zum Bau des Nord-Ostsee-Kanals – dann ging es, in Anbetracht der Größe des 156 Millionen Goldmark teuren Projekts, fast Schlag auf Schlag: Am 3. Juni 1887 legte Wilhelm I. den Grundstein für die Bauarbeiten, nach acht Jahren Bauzeit wurde der Kanal am 20. Juni 1895 durch Kaiser Wilhelm II. eröffnet.
Während des feierlichen Zeremoniells mit viel Pomp und bunt geschmückten Uniformen sollen die ersten Filmaufnahmen überhaupt auf deutschem Gebiet entstanden sein: Der britische Dokumentarfilmer Birt Acres hat die Szene eine Minute lang in Schwarzweiß festgehalten.
Eine gigantische Baustelle
Bis dahin hatten mehr als 8000 Arbeiter an dem gigantischen Graben gearbeitet. Mit schwerem Gerät wie dampfbetriebenen Baggern, aber auch mit bloßer Schaufel und Schubkarre. Insgesamt wurden mehr als 82 Millionen Kubikmeter Erde bewegt.
Weil das Niveau des Wasserspiegels auf dem Kanal in manchen Regionen im Südwesten Schleswig-Holsteins höher als die Umgebung lag, mussten teils riesige Sanddämme angelegt werden. Immer wieder kam es beim Ausheben des Kanalbetts und der Installation von Brücken und Schleusen zu Arbeitsunfällen: 90 Menschen sollen während der Bauarbeiten am Kanal ums Leben gekommen sein.
Pikante Gerüchte in Sehestedt
Überliefert werden auch pikante Anekdoten rund um den Kanalbau: Damit die Ländereien der Gutsherrin von Osterrade nicht zerschnitten wurden, soll sie vorbeugend gerüchteweise den verantwortlichen Regierungsrat verführt haben, schreibt das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“. Der Beamte könnte, solchermaßen beeinflusst, den Verlauf des Kanals verändert haben.
Den Nachteil hatten offenbar die Bewohner des Dorfes Sehestedt, das zwischen Kiel und Rendsburg liegt: Ihre Gemeinde wird bis heute vom NOK in zwei Teile getrennt. Seither bringt eine Fähre die Bürger nahezu rund um die Uhr über das Wasser – immerhin kostenlos.
Für den Bund als Betreiber des NOK schlägt der Unterhalt dagegen mit rund 80 Millionen Euro jährlich zu Buche – die Einnahmen aus dem Schiffsverkehr belaufen sich auf etwa 24 Millionen Euro. Sie stammen aus Abgaben der großen Frachtschiffe und Kreuzfahrer, die täglich den Kanal passieren.
Im Durchschnitt jede Woche ein Unfall
An Land lockt die ungewöhnliche Ansicht eines Ozeanriesen, der sich durch grüne Wiesen zu schieben scheint, etliche schaulustige Radfahrer und Spaziergänger an. Für die Kapitäne und Lotsen an Bord ist die Navigation hier nicht zu unterschätzen: Im Durchschnitt einmal in der Woche landet ein Schiff in der Uferböschung, je nach Schwere des Unfalls kommt es dann aus eigener Kraft frei oder muss geschleppt werden.
Bei schweren Havarien versucht die Deutsche Seemannsmission, den Menschen an Bord dabei zu helfen, das Erlebte zu verarbeiten. Die meist ehrenamtlichen Helfer unterstützen die Crews auch, indem sie den Geldtransfer in die Heimat ermöglichen – ebenso wie Fahrten zur Arztpraxis und ins Krankenhaus. Zwei Stationen sind am und auf dem Kanal aktiv: Die Kieler und Brunsbütteler Seemannsmission teilen sich die Zuständigkeit, die Grenze verläuft etwa bei der Lotsenstation in Rendsburg.
Wer sich den NOK nun einmal selbst anschauen möchte, kann sich vorab unter anderem auf der Internetseite www.125-jahre-nok.de informieren: Dort hat der Tourismus Mittelholstein 125 Ausflugstipps, Erlebnisse und Veranstaltungen am Nord-Ostsee-Kanal zusammengetragen, die teils auf das kommende Jahr, teils aber auch jetzt schon zu erleben sind: So fällt das große Kanal-Jubiläum doch nicht gänzlich aus.